Wer in ein anderes Land geht, fühlt sich oft fremd – anders als die anderen. Aber auch daheim bleiben schützt vor diesem Gefühl nicht. Es lauert im falschen Job, geht mit seltsamen Freunden ein und aus, tarnt sich als Krankheit oder Vorurteil. Fremdsein fühlt sich nach Isolation an – aber im Grunde ist es ein Gefühl, das verbindet, weil wir es alle kennen.
Das neue Buch «Fremdsein» versammelt Geschichten über das Fremdsein diverser Autorinnen und Autoren - unter anderem Franz Hohler. Alle Einnahmen kommen internationalen Hilfsprojekten für Flüchtlingskinder von World Vision Schweiz und Terre des hommes zu Gute.
Wie sind Sie dazu gekommen, dieses Buch zu realisieren? Was war der ausschlaggebende Moment, in dem Sie diesen Entschluss gefasst haben?
Da gab es mehrere. Ich erinnere mich an eine Nacht, in der ich mich schlaflos herumgewälzt habe, weil mich die Kommentare im Onlineportal einer Zeitung so aufgewühlt hatten. All dieser Hass gegen die Flüchtlinge. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie die Menschen nur noch das Fremde gesehen haben, und eben nicht mehr, dass hier MENSCHEN Schutz und Hilfe suchen. Ich wollte etwas tun, habe aber schnell gemerkt, dass das für mich gar nicht so einfach ist. Ich bewundere die Menschen, die ehrenamtlich Verantwortung übernehmen und wirklich regelmässig mit Flüchtlingen zusammenarbeiten. Ich persönlich weiss leider nicht, wie ich so etwas mit meinem Beruf vereinbaren könnte. Und spätestens, als ich dann auch noch eine heftige Hausstaubmilben-Allergie bekommen habe, als ich einmal half, Kleiderspenden für Flüchtlinge zu sortieren, war mir wieder klar: Ich bin halt eine Schreibtischtäterin. (lacht) Jeder soll mit dem helfen, was er am besten kann, glaube ich. Bei mir sind das Schreiben, Redigieren und Netzwerken. Und so kam dann die Idee mit dem Buch.
Was ist ihr persönlicher Bezug zu Flüchtlingen oder Flüchtlingskindern?
Für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi habe ich Reportagen über Flüchtlingskinder in der Schweiz schreiben dürfen. Ich habe ihren Lerneifer in der Schule im Asylzentrum gesehen. Und ich habe die junge Ukrainerin Amina bei ihrem Übergang in die Regelschule als Journalistin begleitet. Es sah alles so gut aus – sie war super fleissig, die Lehrerinnen mochten sie sehr. Und jetzt ist wieder unklar, ob sie nicht doch zurück in die Ukraine muss. So etwas geht einem schon nahe…
War es schwierig, Autoren wie Franz Hohler für das Buch zu begeistern?
Überhaupt nicht. Ich hatte eher das Gefühl, dass ich offene Türen einrenne. Selbst bei denen, die mir abgesagt haben, habe ich fast immer eine bedauernde Mail bekommen, dass sie gerne dabei wären, es aber gerade einfach nicht schaffen. Ich glaube, wenn man Menschen anbietet, mit dem zu helfen, was sie gut können, hat man es oft leichter, als man vermutet.
Was können Sie über die einzelnen Geschichten verraten? Gefällt Ihnen eine besonders gut?
Mich hat vor allem die Vielfalt beeindruckt, wie unterschiedlich die Autorinnen und Autoren das Thema angepackt haben. Sogar das Sich-Selbst-Fremdsein wurde mit aufgenommen, in der Geschichte einer Frau, die ein Herz transplantiert bekommt. In einer anderen Geschichte beschreibt die Protagonistin, die ein Asperger-Syndrom hat, warum ihr das Freundlichsein so schwerfällt (Anm. d. R.: Bei einem Asperger-Syndrom können die Betroffenen Signale wie Gestik, Mimik, Tonfall und Blickkontakt ihres Gegenübers nicht einordnen und auch die dahinter stehenden Gefühle nicht nachempfinden). Und mittendrin dann eine Episode von zwei Flüchtlingen auf dem Meer. Auch die Tonalität der Geschichten ist sehr unterschiedlich. Manche sind auch sehr leicht. Fremdsein führt ja auch hin und wieder zu komischen Missverständnissen.
Wann und wo fühlen Sie sich fremd?
Ich bin ja eine Deutsche in der Schweiz. Da wird einem das «Anderssein» schon immer mal wieder auf die Nase gebunden. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie mir ein älterer Herr auf dem Velo «Sauschwob» hinterherrief. Ich hatte ihn nur darauf aufmerksam gemacht, dass die Strasse sehr glatt sei unter dem frisch gefallenen Schnee. Da war ich vielleicht zu offensiv. Oder er war fremdenfeindlich. Oder er hatte einfach nur einen schlechten Tag. Wer weiss das schon.
Sie behaupten, alle Menschen würden das Gefühl des Fremdseins kennen. Ich kenne es nicht.
Wirklich nicht? Ich finde, es kommt auch in vielen Alltagssituationen vor: Plötzlich fühlt man sich in einem Freundeskreis oder einer Beziehung fremd, wo man sich früher vertraut war. Einfach weil man sich anders entwickelt hat. Oder ein Job und das dazugehörige Team passen nicht mehr zu einem. Man muss gar nicht das Land wechseln, um sich fremd zu fühlen. Im Buch stehen die wirklich grosse Not des Fremdseins von Flüchtlingen neben der kleinen Not der Fremdheit im Alltag. Nicht, weil wir irgendetwas vergleichen oder gar messen möchte, sondern vielmehr, um zu zeigen, dass das Gefühl uns allen vertraut ist. Das verbindet uns.
Wenn das Gefühl des Fremdseins verbindet, ist man sich ja nicht mehr fremd ...
Hurra! Sie haben genau verstanden, was ich zum Ausdruck bringen will (lacht). Es geht darum, die Empathie füreinander zu stärken und damit dem Fremdsein den Stachel zu nehmen.
Auf ihrem Blog zum Buch https://fremdsein.net/ hält Bianca Fritz ihre Leserschaft über aktuelle und geplante Termine und alle weiteren Neuigkeiten auf dem Laufenden. Das Buch gibt es sowohl als Taschenbuch wie auch als e-Book.