Eine von vielen: mit 16 Jahren wurde Hadeel verheiratet, weil ihre Familie Geld brauchte.
Text: Alexander Koch, World Vision Schweiz
Kinderheiraten gab es in Syrien bereits vor dem Ausbruch des Krieges. Laut Auskunft der Befragten haben sie jedoch aufgrund von Konflikten, Vertreibung, Armut sowie sozialem und kulturellem Druck erheblich zugenommen. Im Nordwesten Syriens leben schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen in grosser Armut, bei einer Gesamtbevölkerung von 4 Millionen. Kinder sind einer Reihe von Bedrohungen ausgesetzt, Zwangsheirat ist eine davon. Viele Eltern sind zutiefst verzweifelt und wissen nicht mehr, wie sie ihre Kinder ernähren sollen.
Kinderschutz als moralische Verpflichtung
«Der Schutz der Kinder ist ein wichtiges Anliegen innerhalb Syriens. Mit dem Fortdauern des Konflikts nimmt die Verletzlichkeit von Kindern, insbesondere von Mädchen, exponentiell zu. Es ist eine Schande, dass im 10. Jahr nach Ausbruch des Konflikts immer noch kein Ende in Sicht ist. Die internationale Gemeinschaft ist auch in Kriegen moralisch verpflichtet, die Rechte der Kinder zu wahren», sagt Eleanor Monbiot, die Regionalverantwortliche von World Vision für den Nahen Osten und Osteuropa. «Die Corona-Pandemie hat viele Familien in noch grössere Verzweiflung getrieben und führt zu einem dramatischen Anstieg von Kinderheiraten.»
Nutzung von Sozialen Medien als Driver
Der Bericht von World Vision stellt weiter fest, dass auch die zunehmende Nutzung der Sozialen Medien dazu führt, dass Eltern es vorziehen, ihre Kinder früh zu verheiraten, da sie Angst um die Familienehre haben, wenn ihr Nachwuchs vermeintlich unangemessene Beziehungen zum anderen Geschlecht im Internet aufbaut. «Viele insbesondere junge Vertriebene verbringen viel Zeit in den Sozialen Medien und versuchen so, der Realität zu entfliehen. Einige Eltern haben das Gefühl, dass sie nur begrenzt in der Lage sind, die Aktivitäten ihrer Kinder mit dem anderen Geschlecht zu überwachen», erklärt Monbiot. In der Regel wollen Eltern ihre Kinder schützen und denken, dass besser für sie gesorgt ist, wenn sie die Mädchen und Buben früh verheiraten. «Viele Befragte gaben an, dass Angst oder Ausbeutung und Missbrauch sowie der Wunsch, wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten, die wichtigsten Triebfedern für eine Kinderheirat seien», so Monbiot. «Die Realität sieht jedoch so aus, dass Kinderheirat wenig Schutz vor Missbrauch bietet und mit erheblichen physischen und psychischen Schäden, zunehmender häuslicher Gewalt, frühem Rückzug aus dem Bildungswesen und weiterem Abrutschen in die Armut einhergeht.»
Syrien-Geberkonferenz zur Zukunft
Die Staats- und Regierungschefs der Welt treffen sich virtuell nächste Woche zur vierten Brüsseler Konferenz über die Zukunft Syriens. Daniela Buzducea, internationale Leiterin für Anwaltschaft und externes Engagement bei World Vision betont: «Wir hoffen, dass es im 10. Jahr nach Beginn des Krieges endlich gelingt, einen dauerhaften und landesweiten Waffenstillstand auszuhandeln und dass dringend benötigte Hilfsgüter zur Bewältigung der Krise bereitgestellt werden.» Kinderheiraten dürften zudem nicht als zwangsläufige Verhaltensweisen in Konflikten betrachtet werden. «Die zwangsweise Verheiratung von Mädchen und Jungen wird getrieben durch Verzweiflung. Die internationale Gemeinschaft hat im Schutz der Kinder auf ganzer Linie versagt und wir hoffen, dass die Konferenz in Brüssel endlich einen Wandel herbeiführt und syrische Kinder und Jugendliche wieder eine Zukunft haben», so Buzducea.
Zur Studie «Stolen Future – War and Child Marriage in Northwest Syria»