Mutter Alina geht nach dem Gleichberechtigungs-Kurs entspannter und liebevoller mit ihren Kindern um.
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Text: World Vision Schweiz
Alina war 17 Jahre alt und hatte gerade erst die Schule abgeschlossen, als ihre Eltern sie gegen ihren Willen mit dem 8 Jahre älteren Davit aus dem Nachbardorf verheirateten. Inzwischen ist sie 31 und lebt mit Davit und ihren drei Kindern in einem Dorf bei Gavar in Armenien. Der älteste Sohn ist 13, die Tochter 11 und der Jüngste gerade 4 Jahre alt. Wie viele in der Region lebt auch Alinas Familie von der Viehzucht und der Herstellung von Milchprodukten.
Alinas eigene Kindheit war von ihrem traditionell denkenden Vater geprägt und sie entwickelte schon früh ein Gespür dafür, dass ihre Brüder viel mehr Freiheiten als sie und die anderen Mädchen hatten: «Jeden Sommer rasierte mein Vater meinen Brüdern die Haare ab. Ich wollte wie ein Junge sein dürfen und flehte meinen Vater unter Tränen an, auch meine Haare abzuschneiden.» Doch der Vater blieb streng und Alina behielt ihre langen Haare und ihre Kleider.
Die Familie lebt von der Viehzucht. Alinas jüngster Sohn ist zwar noch klein, hilft seinen Eltern aber nach Kräften bei der Arbeit im Betrieb.
Im Rahmen des regionalen World Vision-Projekts «Caring for Equality» konnte Alina an mehreren Kursen teilnehmen. Zusammen mit Davit und zahlreichen anderen Ehepaaren lernte Alina in wöchentlichen Sitzungen neue Perspektiven auf traditionelle Geschlechterrollen kennen und diskutierte mit den anderen Teilnehmenden die negativen Auswirkungen dieser strengen Traditionen auf Mädchen und Frauen. Neben Gleichberechtigung und Kindererziehung wurden in Rollenspielen, Übungen und Gesprächen auch verbale und physische Gewalt und Beziehungen innerhalb der Familie thematisiert.
Die Sozialarbeiterin Lena Goharyan leitete die Kurse und erinnert sich an Alina, die zu den Treffen häufig ihre Tochter mitbrachte: «Sie war sehr streng und brutal mit ihrer Tochter. Ich merkte, wie sehr sich die Tochter vor ihrer Mutter fürchtete und selbst auf vermeintlich harmlose Handbewegungen ängstlich reagierte.» Lena vermutet, dass Alina überfordert war mit ihrem Alltag und der Tatsache, dass sie schon in so jungen Jahren heiraten und Kinder grossziehen musste. Der älteste Sohn benötigt aufgrund einer Entwicklungsstörung außerdem intensive Betreuung, so dass kaum Zeit und Energie für die anderen Kinder übrig bleibt. Schläge als Strafe gehörten für Alina in der Kindererziehung einfach dazu, und da sie mit dem Ältesten mehr Mitleid hatte, bekam ihre Tochter den Grossteil ihrer Wut und Frustration zu spüren.
Doch dank dem Zuspruch und der Unterstützung der anderen Eltern konnte Alina sich im Verlauf der Sitzungen öffnen. Insbesondere in den ländlichen Gemeinden Armeniens gilt die Meinung der Anderen als wichtigster Massstab für das eigene Verhalten. In der Gemeinschaft des Kurses konnten aufgrund dieser sozialen Dynamiken gemeinsam Vorurteile überwunden und Verständnis füreinander geschaffen werden. Alina begann, ihr Verhalten gegenüber den Kindern zu reflektieren und Schritt für Schritt zu ändern. Kursleiterin Lena berichtet stolz: «Gegen Ende des Kurses sind wir mit allen zusammen nach Yerevan gefahren und Alina und ihre Kinder waren viel entspannter im Umgang miteinander.»
Dass ihre Tochter von einer Laufbahn beim Militär träumt, konnte Alina sich früher nicht vorstellen. Inzwischen möchte sie aber den Berufswunsch des Mädchens unterstützen. Im Arbeitsleben gilt für sie jetzt das Prinzip Gleichberechtigung: «Wenn ein Mann zum Direktor ernannt wird, warum nicht auch eine Frau? Ich finde, dass wir unsere Töchter dabei unterstützen sollten, ihre Träume zu verwirklichen.»
Davit nimmt sich mehr Zeit für seine Kinder und geniesst einen Moment Ruhe gemeinsam mit seinem jüngsten Sohn.
Auch im Zusammenleben der Familie haben sich viele Dinge zum Besseren gewendet. Davit nimmt sich Zeit für die Kinder, hilft ihnen bei den Hausaufgaben und kümmert sich mehr um sie als früher. Alina bemüht sich zudem, ihre Kinder gleichberechtigt zu behandeln und sie abwechselnd an den täglichen Aufgaben im Haushalt zu beteiligen. Insbesondere ihrem Jüngsten macht das grossen Spass. Mit ihrem Mann teilt sich Alina zwar nicht alle Aufgaben gleichberechtigt, aber sie «halten dem anderen die Hand», wie sie es formuliert, unterstützen und respektieren den Partner. Die ersten Schritte zum gleichberechtigten Miteinander sind längst getan und gemeinsam geht die Familie nun ihren Weg in die Zukunft.